Politische Opposition heißt Opposition zur Historiographie

Der persönliche Sekretär von Corneliu Coposu redet Tacheles

Von seiner Haft im Gefängnis Râmnicu Sărat habe Corneliu Coposu nie erzählen wollen, so Ion-Andrei Gherasim. „Es war das Golgatha der kommunistischen Gefängnisse Rumäniens.“ Foto: Klaus Philippi

Ion-Andrei Gherasim hatte gehofft, auch vor „jungen Leuten“ vom zähen Geist der christlich-demokratischen Opposition im politisch gefährlich tiefen Untergrund Rumäniens vor und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zu schwärmen, und glücklicherweise nahmen Studentinnen und Studenten der Lucian-Blaga-Universität Sibiu (ULBS) die letzte Stuhlreihe unter Beschlag – der geschäftsführende Vorsitzende der Corneliu-Coposu-Stiftung sah sich im Hermannstädter Blauen Haus als Gast des Brukenthalmuseums in der vorteilhaften Ausgangslage, eigens für das beste Publikum zu referieren, das man sich lokal und regional nur wünschen konnte.

Kaum einer von bis zu 50 Zuhörerstühlen vor der Kulisse von 70 historischen Porträts einer Ausstellung europäischer Malerei aus vier Jahrhunderten blieb unbesetzt, von der breitest aufgestellten Altersspanne der über eineinhalb Stunden gebannt Lauschenden ganz zu schweigen. Entsprechend seiner Vortrags-Titelzeile „Trei destine de excepție, modele adevărate pentru generațiile viitoare: Iuliu Maniu, Ilie Lazăr și Corneliu Coposu“ (drei Ausnahme-Schicksale, wahre Vorbilder für künftige Generationen) mochte der glühende Klausenburger und Verfechter einer gezielt anti-kommunistischen Geschichtsschreibung auch nicht lange um den heißen Brei herum reden: dass man im Parlament Rumäniens „erst sechs Monate nach Anfang des Jahres 2023“ dazu bereit gewesen war, es rückwirkend der politischen Erinnerung an Iuliu Maniu (1873-1953) zu widmen, sei „eine Schande“.

Immerhin konnten Ovidiu Ganț und Silviu Vexler, die Vertreter des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) und der Föderation der Jüdischen Gemeinschaften in Rumänien (FCER) im Abgeordnetenhaus, beizeiten sichern, dass man sich von der Ebene Bukarest aus zumindest betreffend Iuliu Hossu 2025 nicht erneut dieselbe erinnerungspolitische Blöße geben wird: noch im Oktober 2023 haben Staatspräsidentschaft und Parlament gesetzlich fixiert, öffentlich das 140. Jahr seit der Geburt und das 55. Todesjahr jenes griechisch-katholischen Bischofs zu markieren, der am 1. Dezember 1918 in Karlsburg/Alba Iulia unter Jubelrufen die Deklaration der Gründung Großrumäniens verlas und sich bald nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Ende seines Lebens der Verbannung in Zwangs-Domizile und den toten Winkel der öffentlichen Aufmerksamkeit fügen musste.

In Hermannstadt erinnerte Ion-Andrei Gherasim (Jahrgang 1970) als Zeitzeuge der Revolution vom Dezember 1989 und Enkel des griechisch-katholischen Christdemokraten Ilie Lazăr (1895-1976) zurecht spöttisch an den Altbau Nummer 27 in der Traian-Straße unweit des Klausenburger Hauptbahnhofs und Eisenbahner-Parks, worin zu kommunistischer Zeit tagtäglich die städtischen Beamten und Agenten der Securitate – die „Bestien von der Traian-Straße“ – ein- und ausgingen. Körperlich von ihnen misshandelt wurde er zu keinem Zeitpunkt seiner Jugend; doch um den Anschein konformer Lebensführung zu wahren, musste er sich einmal als Schüler der Oberstufe am Gheorghe-[incai-Gymnasium, der im Geschichts-Unterricht laut die ungeliebte Wahrheit zu sagen gewagt hatte, in Anwesenheit eines Securitate-Offiziers eine schallende Ohrfeige von seiner Mutter gefallen lassen, die Leiterin derselben Schule war. Abends am selben Tag zuhause „nahm sie mich in die Arme und bat mich weinend um Verzeihung.“ Großvater Ilie Lazăr, der als Ex-Häftling einem Gefängnis-Wärter ins Gesicht gesagt hatte, „vor niemand sonst als Gott auf die Knie zu fallen“, war „bis zu seinem Tod davon überzeugt, dass dieses Regime stürzen würde.“ Eines aber hat es seinen Gegnern zum Groll perfekt hinbekommen: das Grab von Iuliu Maniu bis heute und wahrscheinlich auf für alle Zukunft unauffindbar zu hinterlassen. Rumäniens kommunistische Elite der frühen Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wusste genau, dass der zum gefährlichen Staatsfeind erklärte Ausnahmepolitiker als Soldat im Ersten Weltkrieg am Bein verletzt worden war und im Knochen einen metallenen Schiefer zurückbehalten hatte. Versuche, die letzte Ruhestätte von Iuliu Maniu, der achtzigjährig als Häftling im Gefängnis von Sighetu Marmației aus dem Leben schied, doch noch zu identifizieren, hätten bis heute jeweils fehlgeschlagen und würden auch den schlagkräftigsten Vermutungen dazu nichts vom Gerücht-Wert nehmen, betont unnachgiebig Ion-Andrei Gherasim als im französischen Grenoble ausgebildeter Politikwissenschaftler. Weil Sohn und Enkel einer Familie, die insgesamt 38 Haftjahre in den kommunistischen Gefängnissen Rumäniens angestaut hatte, konnte er bis 1989/90 an keiner Universität des Landes studieren. Dafür war er sofort zu Beginn der Nachwendezeit bis April 1991 und wiederum von Juni bis November 1995 persönlicher Sekretär von Corneliu Coposu, dem 1995 verstorbenen Vorsitzenden der Christlich-Demokratischen Nationalen Bauernpartei (PNȚCD). Dessen Tagebuch 54 Jahre lang in einem Schweinestall irgendwo bei Konstanza versteckt worden war, ehe eine seiner Schwestern es 1993 wiederentdeckte. Ion-Andrei Gherasim zufolge soll Corneliu Coposu „täglich viereinhalb Schachteln Zigaretten“ geraucht, „nur zwei Stunden pro Nacht“ geschlafen und stattdessen „fünf Stunden lang die Presse“ studiert haben.

Womit Ion-Andrei Gherasim als geschäftsführender Vorsitzender der Corneliu-Coposu-Stiftung seinen trotz der ausufernden Länge spannenden Vortrag in Hermannstadt schloss? Mit manch einem Fazit, wie man es von der aktuellen Binnenopposition der Politik Rumäniens vergeblich erwartet: „Nach dem Tod von Ion Iliescu wird alle Schuld auf ihn geladen worden sein!“ Kein gutes Haar lässt der erste und letzte Wegbegleiter von Corneliu Coposu zur Nachwendezeit gar auch an Andrei Pleșu – sollte es in der Tat der Wahrheit entsprechen, dass der erste Kulturminister Rumäniens nach 1989 öffentlich behauptet habe, die Autorschaft des Rufes an die Bergarbeiter aus dem Schiltal/Valea Jiului nach Bukarest vom 13. bis zum 15. Juni 1990 zwecks gewaltsamer Niederschlagung einer bürgerlich-oppositionellen Demonstrationsbewegung wäre „diskutabel“, behielten Ion-Andrei Gherasim und alle Kritiker im Land, die sich einen endlich transparenten und wirklich profund demokratischen Staat wünschen, wieder mal Recht. Von der AUR distanziert die Corneliu-Coposu-Stiftung sich unmissverständlich.